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Frieden braucht einen langen Atem

Was macht eigentlich eine Friedenspfarrerin?

Von Stefanie Bock

GettyImages / BrianAJackson

Frieden möchte wohl jeder Mensch. Und doch ist die Welt kein friedlicher Ort. Sabine Müller-Langsdorf zeigt Menschen, wie sie sich für ein friedvolles Miteinander einsetzen.

Es ist dieser Satz aus der Bibel, der Sabine Müller-Langsdorf berührt und in ihrem Tun antreibt: „Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen“. Diese Friedens-Vision aus der Offenbarung hat es der Friedenspfarrerin der hessen-nassauischen Landeskirche angetan. „Ich glaube, es braucht diese großen biblischen Bilder, die uns antreiben“, sagt sie. Denn Müller-Langsdorf weiß: „Frieden hat einen langen Atem“.

Wer sich für ihn einsetzt, braucht Geduld, Hoffnung und etwas Großes, das ihn oder sie antreibt. Bei der Seelsorgerin sind dies der Glaube und die Erinnerung an ihre Großeltern-Generation, in der es keinen einzigen Mann mehr gab. Sie alle waren im Krieg geblieben, erinnert sich Müller-Langsdorf.

Und doch ist die Pfarrerin im Frankfurter Zentrum Oekumene keine, die eine reine Frömmigkeit antreibt: Sie will sich politisch einmischen. So hat Sabine Müller-Langsdorf seit ihrem Studium Kirche erlebt und es auch selbst beherzigt. Für die Seelsorgerin ist Kirche nicht nur für das Seelenheil der Menschen da: Kirche lebe von der Zusage Gottes, dass Frieden möglich sei, sagt die Theologin. Für sie ergibt sich daraus: sich für den gerechten Frieden in der Welt einzusetzen.

Das Friedenspfarramt in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau ist seit jeher mit einer Frau besetzt. Angesiedelt ist die Friedensarbeit im Zentrum Oekumene, da ihre Leitgedanken aus der Friedensarbeit des Ökumenischen Rates der Kirchen entstanden sind. Sie lassen sich mit den Stichworten „gerechter Friede“ und „Vorrang für Zivil“ benennen. Geschaffen wurde die Stelle durch die Landeskirche – übrigens als eine der ersten in Deutschland – 1986 auf Drängen engagierter Frauen und als Gegenpol zu den Stellen der Militärseelsorger.

Doch was kann Kirche für den Frieden in der Welt beitragen?

„Kirche ist relativ reich an Räumen, die wir zur Verfügung stellen können“, sagt die Friedenspfarrerin und fügt an: „Zudem ist Kirche vor Ort bei den Menschen, ist vertreten in Städten, Dörfern und Gemeinden.“ Diese Räume könnte Kirche für Diskussionen und Erfahrungsaustausch zur Verfügung stellen, damit an einem neutralen Ort, Menschen unterschiedlicher Meinung, Herkunft und Identifikation miteinander ins Gespräch kommen und nach Wegen hin zum Frieden suchen können.

Ganz konkret nennt Müller-Langsdorf den Streit um den Dannenröder Forst in Oberhessen: Dort hatten sich kirchliche Mitarbeitende, Kirchenvorsteher und Kirchenvorsteherinnen sowie der Dekan in die aufgeheizte Debatte eingebracht und einen Runden Tisch organisiert. „Kirche wird als neutrale Partei, die eine hohe Akzeptanz genießt, in der Gesellschaft wahrgenommen“, so die Pfarrerin. Und genau diese Wahrnehmung gelte es selbstbewusst zu nutzen. Sie fügt an: „Wir haben was zu verlieren, wenn wir uns nicht gesellschaftlich einbringen“.

Als Friedenspfarrerin hat Müller-Langsdorf keine klassische Kirchengemeinde, die sie betreut, sie tauft, traut und beerdigt keine Gemeindemitglieder. Sie berät und begleitet jedoch Gemeinden und Menschen, die sich an sie wenden. Und das kann manchmal ganz schön turbulent sein. Ihr Telefon steht selten still. Und jedes Mal fragt der Anrufer oder die Anruferin die Pfarrerin um ihre Meinung oder bittet um Hilfe: „Dürfen wir einen Soldaten in Uniform in die Kirche lassen, um an einem Gottesdienst teilzunehmen?“ „Können Sie in unserer Gemeinde einen Vortrag über Friedens-NGOs halten?“. „Ich habe Medikamente für die Menschen in Lesbos. Wie kann ich sie dorthin schicken?“. „Wir haben die Friedenswanderkerze verloren, was können wir nur tun?“

Geduldig und mit viel Offenheit hilft Müller-Langsdorf jedem Anrufer und jeder Anruferin weiter. Nicht alle Anfragen, besonders wenn es darum geht, an Diskussionen teilzunehmen oder einen Gottesdienst zu gestalten, kann sie annehmen. Dazu sind es einfach zu viele, doch sie macht, was ihr möglich ist. Und wenn sie selbst nicht t anwesend sein kann, dann berät sie Menschen, wie sie selbst sich für den Frieden einsetzen können.

Die Kirchengemeinden haben viele Möglichkeiten

Die Möglichkeiten für Kirchengemeinden, für den Frieden zu arbeiten, sind vielfältig, versichert die Expertin. Es müssten nicht immer gleich große Projekte sein. Möglich sei es, ein Konzert mit Friedensliedern zu feiern. Oder einmal im Monat in der Kirche die Menschen zu einem Friedensgottesdienst einzuladen. Eine andere Idee wäre aber auch mal, im Viertel zu schauen, welche Probleme gibt es, wo gibt es Diskussionsbedarf? „Auch gut ist es, ein Tafelprojekt zu unterstützen, ein Kirchenasyl anzubieten, einen Solarbrunnen in einem Entwicklungsland zu bauen, eine ökumenische Patenschaft zu übernehmen oder ein Konfi-Umwelt-Projekt zu beginnen“, sagt Müller-Langsdorf.

Frieden betreffe jeden einzelnen. „Man muss im Grunde nur anfangen, dann entwickelt sich eins nach dem anderen. Gemeinden sind wunderbare Bildungsorte“, macht die Pfarrerin den Menschen Mut. Und schon kommt ihr noch eine Idee: „Seniorenarbeit und Jugendarbeit miteinander verbinden oder ein Erzählcafé anbieten, denn leider stirbt bald die letzte Generation, die jungen Leute noch vom Leben im Krieg erzählen kann.“ Interessant sei auch, eine Ausstellung mit aus den Kriegstrümmern geretteten Gegenstände zu organisieren. „Um so das historische Gedächtnis vor Ort zu bewahren.“

Wie wichtig es ist, den Grauen des Krieges wachzuhalten, wurde Müller-Langsdorf bei einem Besuch des Flüchtlingslagers auf Lesbos deutlich. Das Leid der Menschen, die Armut der Menschen haben sie berührt. „Frieden braucht einen langen Atem“, sagt Müller-Langsdorf, das habe sie gelernt.

Und woher nimmt sie ihre Motivation, immer weiter zu machen? „Es gibt so viele Menschen, die jeden Tag Frieden auf den Weg bringen, die stark bleiben in ihrem Engagement und nicht nachlassen sich für das Gute einzusetzen.“ Das stärkt sie.

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