Warum Streit in der Familie gut und wichtig ist
- und auf Dauer sogar gesünder
Von Detlef Schneider
Ob andauerndes Zuspätkommen, Fragen in der Kindererziehung oder Geld: In so ziemlich jeder Familie wird gestritten. Das ist wichtig, normal und auch gut, sagt Melina Wendlandt-Schott, Leiterin der Evangelischen Familienbildung im Dekanat Wiesbaden. Im Umgang mit Konflikten können Eltern Vorbilder für ihre Kinder sein, und für Kinder sind die Familien Lernfelder für die Gesellschaft.
Frau Wendlandt-Schott, gestritten wird vermutlich in jeder Familie. Was bekommen Sie im Rahmen ihrer Arbeit mit, welches sind die Konfliktthemen? Gibt es so etwas wie Dauerbrenner?
Melina Wendlandt-Schott: Ja, Dauerbrenner gibt es, das sind oftmals Erziehungsfragen. Etwa wenn es darum geht, was ein Kind darf und was nicht. Häufig ist der eine Elternteil dem anderen zu streng, der andere dem einen zu weich. Bei Eltern kann dann das Gefühl entstehen, dass man sich gegenseitig in den Rücken fällt. Ansonsten sind die Konflikte auch einfach Alltagsthemen. Zum Beispiel wenn jemand ständig unpünktlich ist, oder wenn es schnell gehen soll oder sich Kinder morgens die Zähne nicht putzen wollen. Und auch das liebe Geld ist häufig ein Streitthema – gerade auch bei getrennt lebenden Eltern oder Familien mit geringem Einkommen.
Gibt es Familien, die nie streiten?
Ich denke nicht. Es gibt Familien, die dem Streit aus dem Weg gehen. Das heißt aber nicht, dass sie konfliktfrei sind. So kann auf Dauer eine Schieflage entstehen. Man frisst den Streit in sich rein oder distanziert sich vom Anderen. Es gibt Paare, die gut nebeneinander her leben und ihr Familienbild aufrechterhalten wollen. Oft gerät dann die Zuneigung zueinander abhanden und sie leben nur noch in einem Konstrukt. Wir bekommen mit, dass es auf Dauer nicht gesund ist, Konflikte unausgesprochen zu lassen. Unterschwellig bedeutet das Stress, das kann langfristig psychische oder psychosomatische Auswirkungen haben. Etwa Bluthochdruck, depressive Verstimmungen oder Burnout sind nur einige Reaktionen darauf. Und bei Kindern äußert sich das durch Bauch- oder Kopfweh, oder sie ziehen sich zurück.
Kann man umgekehrt sagen, dass streiten gesund ist? Wenn ja, wie sieht ein gesunder Streit aus?
Streit ist dann gesund, wenn man wertschätzend miteinander umgeht, sich gegenseitig respektiert und zuhört. Wenn man das Gegenüber wahrnimmt und offen ist gegenüber den Bedürfnissen des Anderen. Wenn man miteinander ins Gespräch geht, sich auch eine Annäherung wünscht und mitmacht bei dem Prozess, Kompromisse und Lösungen zu finden.
Und natürlich ist die Erfahrung wichtig, sich hinterher wieder zu vertragen. Denn wie nach einem Gewitter kann ein Streit auch befreiend sein. Zudem lernt man durch Konfliktbewältigung sich selbst und andere besser kennen. Man lernt eigene Interessen zu wahren, sich selbst zu reflektieren und Selbstvertrauen aufzubauen.
Gibt es noch weitere Gründe, warum Streit in der Familie wichtig und hilfreich ist?
Streit in der Familie ist wichtig, normal und auch gut. Für Eltern ist Streit eine Chance, ihren Kindern ein Vorbild zu sein, wie man mit Konflikten umgeht und sie löst, ohne sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Und für Kinder sind Familien damit Lernfelder für die Gesellschaft: Denn wie in ihr treffen sie auch außerhalb auf ganz verschiedene Persönlichkeiten, die alle unterschiedliche Positionen und Bedürfnisse haben, die unter einen Hut gebracht werden müssen. Da kann ich als Kind schon mal zu Hause üben, was auch später im Leben wichtig ist.
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Konflikte sind Teil allen menschlichen Zusammenlebens, wo immer es Beziehung gibt, gibt es auch Streit. Aber warum streitet man sich überhaupt und wie können Konflikte konstruktiv gelöst werden? Diesen Fragen gehen Susanne Billig und Petra Geist in ihrem Beitrag bei Deutschlandfunk Kultur nach.