Schüsse in Rücken und Knie
Wie die Sprache das Miteinander bestimmt
Von Renate Haller
Viele Redewendungen haben ein gewisses Gewaltpotenzial. Das beeinflusst die Menschen, die sie nutzen und auch die, die sie hören. Manuela Baumgart möchte mit gewaltfreier Kommunikation helfen, friedlicher zu sprechen und damit auch friedlicher zu leben.
Manuela Baumgart ist sich sicher: „Sprache ist ein Schlüssel zum gelingenden Alltag.“ Wer schon frühmorgens in Gedanken formuliert, dass ihn oder sie heute Stress erwartet, wird Stress haben. Wer hingegen sagt: „Ich habe heute viel zu tun“, wird viel zu tun haben, aber nicht schon mit einer negativen Bewertung in den Tag starten.
Baumgart macht mit halber Stelle offene Stadtkirchenarbeit an der Stadtkirche Offenbach. Im Zweitberuf ist sie Sprachachtsamkeitstrainerin und Coach. „Sprache kann Leben verändern“, sagt sie. Sie möchte mit ihrer Arbeit Menschen für das sensibilisieren, was sie sagen. Damit sei es möglich, sprachliche Muster zu erkennen, die einem selbst und dem Gegenüber nicht gut tun. „Im Prinzip ist es ein Bewusstwerdungsprozess, der sich als Kommunikationsmethode maskiert hat“, zitiert Baumgart Kit Miller, langjährige Leiterin des M.K. Gandhi Institutes für Gewaltfreiheit im nordamerikanischen Rochester.
„Unsere Sprache ist voller Gewalt“, sagt Baumgart und nennt eine ganze Reihe von Beispielen: Kommt mir jemand entgegen mit den Worten „Ich habe ein Attentat auf dich vor“, ahne ich nichts Gutes. Wem gerne etwas „auf den Magen schlägt“, neigt – psychosomatisch gesehen – möglicherweise zur Magenschleimhautentzündung, und jemanden am Telefon „abzuwürgen“ ist ebenso grausam wie „einen Schlachtplan“ zu entwerfen oder „sich selbst ins Knie zu schießen“. Der Blick auf den Schreibtisch, der „ein Schlachtfeld ist“, motiviert nicht zum Arbeiten, ebenso wenig wie die Formulierung „das haue ich dir so lange um die Ohren, bis du es verstanden hast“. Und es mache einen großen Unterschied ob jemand sagt, „das Leben ist ein Kampf“ oder „das Leben ist ein Tanz“.
Den Blick auf Freiheit und Möglichkeiten lenken
Eine kriegerische Sprache provoziert und aktiviert auf einer unbewussten Ebene Verteidigung oder Angriff. Beides tut nicht gut, sagt die Achtsamkeitstrainerin. Sogar die Formulierung „Kinder kriegen“ wirke negativ, weil das Wort „Krieg“ enthalten ist. Besser sei es von der Frau zu sprechen, die ein Kind zur Welt bringt. „Schießt mir etwas durch den Kopf“ könne das zu Kopfschmerzen führen, ebenso die Dinge, die mir „im Nacken sitzen“.
Auch das Müssen ist ein Thema. „Ich muss morgens früh aufstehen, weil ich pünktlich im Büro sein muss. Dort muss ich an einer Konferenz teilnehmen und mit der Kollegin ein Konzept entwickeln. Das darf nicht zu lange dauern, weil ich heute Abend auch noch einkaufen muss.“ Am Ende des Tages stehen 24 Stunden „müssen“, weil auch der Schlaf sein muss.
Den inneren und äußeren Druck verringern
Baumgart fordert dazu auf, aus dieser Opferhaltung heraus zu kommen und gleichzeitig in den Blick zu nehmen, welche Freiheit man hat und welche Optionen es gibt. Ziel ist es, den inneren und äußeren Druck zu verringern und eigenen sprachlichen Mustern zu folgen. Denn der gleiche Tagesablauf kann ganz anders formuliert sein: „Ich stehe heute früh auf, weil ich pünktlich im Büro sein möchte. Dort habe ich eine Konferenz und arbeite mit meiner Kollegin an einem Konzept. Am Abend kaufe ich noch ein.“
Baumgart regt zu bewusster Wortwahl, klarem Satzbau und eindeutiger Körpersprache an, um den eigenen Alltag einfacher bewältigen zu können. Sind Denken, Fühlen und Handeln im Einklang, hätten krankmachende Redewendungen keine Chance, uns selbst zu schwächen.
„Eine gewaltfreie Kommunikation dient dem zwischenmenschlichen Frieden“, betont Manuela Baumgart. Konflikte könnten besser gelöst werden, wenn die Bedürfnisse der Beteiligten klar sind. Gewaltfreie Kommunikation gehöre deshalb auch in die Ausbildung von Theologinnen und Theologen, regt sie an.
Die Art, wie Menschen miteinander sprechen und welche Worte sie wählen, prägt Beziehungen. Manuela Baumgart (rechts) weiß, welche Redewendungen man besser vermeiden sollte – auch für das eigene Wohlbefinden.
Giraffen und Wölfe: Gewaltfrei kommunizieren
Der US-amerikanische Psychologe Marshall Rosenberg (1934–2015) hat das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation entwickelt (GfK). Im Kern geht es darum, eine echte Beziehung zwischen Menschen herzustellen, die dazu führt, dass sie gerne zum gegenseitigen Wohlergehen beitragen. Seine Idee: Indem man seine Aufmerksamkeit sowohl auf die eigenen Gefühle und Bedürfnisse als auch auf die des Gegenübers richtet, lernt man sich selbst besser kennen und es können Mitgefühl und Empathie für den anderen entstehen. Diese wiederum beeinflussen das Handeln.
Dahinter steht die Überzeugung, dass empathische Kommunikation leichter zur Lösung von Problemen und zum friedlichen Miteinander beitragen kann, als wenn Ärger oder nur der Blick auf eigene Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen. Das Konzept beruht im Wesentlichen auf vier Schritten:
- Beobachtung (eine Situation betrachten und wahrnehmen, ohne mich selbst oder andere zu verurteilen)
- Gefühle erfassen (die eigenen und die der anderen)
- Bedürfnisse erkennen (sowohl meine als auch die des Gegenübers)
- Bitten (formulieren, was ich von jemand anderem haben möchte oder was ich selbst tun möchte)
Ein ganz einfaches Beispiel: Frau Müller ist Raucherin. Aus Rücksicht auf ihre Familie raucht sie nur im Hof. Dort steht glücklicherweise eine Bank, auf der sie sitzt und raucht. Im Erdgeschoss des Hauses wohnt Herr Paulsen. Sein Wohnzimmer geht zum Hof hinaus, das Fenster hat er gern gekippt. Wenn Frau Müller raucht, stinkt es bei ihm in der Wohnung. Das ärgert ihn und er macht diesem Ärger Luft, in dem er das Fenster zuknallt. Er weiß, dass er Frau Müller das Rauchen im Hof nicht verbieten kann, ist aber sauer über ihre Rücksichtslosigkeit. Frau Müller bemerkt natürlich die Wut, ärgert sich aber ihrerseits über die harsche Reaktion.
Nach Rosenberg könnte es folgendermaßen ablaufen: Frau Müller sitzt auf der Bank im Hof und raucht. Herr Paulsen merkt, dass er sich ärgert und denkt einen Moment nach: Um was geht es hier, welches Bedürfnis habe ich und was möchte Frau Müller? Nachdem er das für sich geklärt hat, spricht er Frau Müller an, und bittet sie, sich einen Stuhl an der anderen Seite des Hofs aufzustellen.
Rosenberg nannte seine Kommunikationsmethode auch die Giraffensprache. Der Grund: Die Giraffe ist das Landlebewesen mit dem größten Herzen und steht deshalb symbolisch für die Sprache des Herzens. Für eine Sprache, die Beziehung zwischen Menschen ermöglichen und zu besserer Kooperation führen soll. Demgegenüber steht die Wolfssprache. Sie zeichnet sich aus durch Vorwürfe, Forderungen, Druck und Schuldzuweisungen.
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Sprache in der Bibel
Auch die Autoren der Bibel haben sich mit Sprache beschäftigt. Eine kleine Auswahl die vermuten lässt, dass einigen von ihnen die Wirkung von freundlicher und unfreundlicher Sprache durchaus bewusst war:
„Freundliche Reden sind Honigseim, süß für die Seele und heilsam für die Glieder.“ (Sprüche 16,24)
„Eine heilsame Zunge ist ein Baum des Lebens; aber eine lügenhafte bringt Herzeleid.“
(Sprüche 15,4)
„Auch ein Tor, wenn er schwiege, würde für weise gehalten und für verständig, wenn er den Mund hielte.“
(Sprüche 17,28)
„Ich sage euch aber, dass die Menschen Rechenschaft geben müssen am Tage des Gerichts von jedem nichtsnutzigen Wort, das sie reden.“
(Matthäus 12,36)
„Wo viel Worte sind, da geht‘s ohne Sünde nicht ab; wer aber seine Lippen im Zaum hält, ist klug.“
(Sprüche 10,19)
„Denn wir verfehlen uns alle mannigfaltig. Wer sich aber im Wort nicht verfehlt, der ist ein vollkommener Mensch und kann auch den ganzen Leib im Zaum halten.“
(Jakobus 3,2)
„Wer unvorsichtig herausfährt mit Worten, sticht wie ein Schwert; aber die Zunge der Weisen bringt Heilung.“
(Sprüche 12,18)
„Wer Mund und Zunge bewahrt, der bewahrt sein Leben vor Not.“
(Sprüche 21,23)
„Lasst kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen, sondern redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Gnade bringe denen, die es hören.“
(Epheser 4,29)
„Also ist auch die Zunge ein kleines Glied und richtet große Dinge an.“
(Jakobus 3,5)